Spüren Sie als Filmemacherin eine Verantwortung, gesellschaftliche Entwicklungen in ihre Arbeit aufzunehmen, etwas zu bewegen oder zu verändern? (20:30)
Marie Kreutzer: Das war sicher nicht meine Grundintention, warum ich Filme mache. Ich habe immer Geschichten geschrieben, schon als Kind. Ich wollte einfach immer Geschichten erzählen und das waren auch ganz oft ganz banale. Ich merke aber natürlich einfach, dass die Geschichten nicht von irgendwo kommen, sondern ich werde durch alles inspiriert, was ich sehe und erlebe. Es ist glaube ich unmöglich, als jemand, der Geschichten erzählt, die eigene Haltung zu verbergen, die kommt sowieso raus. Jede Geschichte, die man erzählt, ist auch in irgendeiner Art politisch, weil sie in irgendeiner Art etwas bewertet oder interpretiert, was da erzählt wird – und sei es noch so banal. Was ich aber nicht möchte – auch, weil ich es als Zuschauerin nicht so gerne mag – ist, Filme zu machen, die dem Zuschauer erklären, wie er zu denken hat und wie er das zu sehen hat. Ich erzähle es gerne so, dass man sich sein Bild machen kann, ohne das Gefühl zu haben, man geht raus und es ist einem etwas erklärt worden.
Herbert Beiglböck: Haben Sie eine Vorstellung, wie wir als Caritas genau diesen Ansatz auch in die Gesellschaft einbringen können? Wir sagen manchmal, wir möchten nicht ein weiterer Stressfaktor sein. Wie kriegen wir das hin? Was braucht die Gesellschaft, damit sie sich stressfrei zum Guten verändert?
Marie Kreutzer: Puh. (lange Pause) Es ist so wahnsinnig schwer … Es ist banal, aber ich finde schon, dass persönliche und zwischenmenschliche Erlebnisse etwas verändern. Auch wenn es oft unangenehm ist, ist es wichtig, auch mit Menschen im Gespräch zu bleiben, die anderer Meinung sind und sich nicht zu sehr gegeneinander zu verhärten. Ich weiß nicht, ob das so wahnsinnig viel verändert, aber ich tue es trotzdem.
In der momentanen politischen Situation, die in Österreich für mich ziemlich düster aussieht, macht es mir Hoffnung, dass gleichzeitig etwas ganz gutes passiert: Nämlich, dass unter den Menschen, die wie ich sehr kritisch gegenüber der Arbeit unserer Regierung sind, neue Schulterschlüsse, oder zumindest gefühlsmäßig neue Verbindungen gibt. Dass es zum Beispiel nicht mehr so sehr darum geht, welche Partei man wählt, oder was auch immer einen da so irgendwie einteilt. Es gibt dort, wo man sich einig ist, eine neue – im positiven Sinn – Pragmatik. Und es ist immer wieder schön, wenn ich dann sehe: Ah, der und der, wo ich es nie gedacht hätte, sieht es aber vielleicht ganz ähnlich wie ich.
Deswegen glaube ich, es ist eine sehr unmenschliche Welt, weil Agorithmen so eine Macht haben auf uns, weil Medien so eine Macht haben, weil das Persönliche so wenig zu zählen scheint, aber vielleicht ist es gerade deshalb – ganz romantisch gesprochen – was helfen könnte. Das man wirklich miteinander in Kontakt bleibt und miteinander spricht. Es klingt total banal, aber …
Herbert Beiglböck: Nein, nein, das sehen wir selbst auch ähnlich: Wir wollen im Grunde ein Netzwerk der Nächstenliebe sein, wo niemand durchfallen kann, bei dem aber auch alle, die helfen wollen und die ein Teil dieses Bündnisses sein wollen, wissen dass sie sich dort hinwenden können. Ein Rückgrat für jene, die sagen, wir machen Netzwerke, damit in der Gesellschaft ein bisschen mehr an Menschlichkeit erlebbar und spürbar ist. Das ist schon etwas, wovon ich auch glaube, dass es uns auszeichnen kann und das ein Teil unseres Markenkerns sein kann: Zu sagen, jeder, der helfen will, findet einen guten Ort, wo er sich beteiligen kann. Da schaffen wir etwas, das möglicherweise – und hoffentlich – eine Gegenwirklichkeit ist zu dem, was wir politisch erleben und was wir vielleicht auch in dieser technisierten Welt erleben.